Im Mai 2001 fand ich auf einem New Yorker Flohmarkt das Buch A Vanished World des mir bis dahin unbekannten polnischen Fotografen Roman Vishniac. Feinfühlig und mit beeindruckender künstlerischer Qualität führt Vishniac durch die Geschichte gewordene Welt des osteuropäischen Judentums vor dem zweiten Weltkrieg. Er erzählt von einem Alltag voller Armut, von einer für uns nur mehr schwer vorstellbaren Verelendung, er zeigt ein Leben in einer wie es scheint maschinenlosen Zeit, kein Auto, kein Motorrad ist zu sehen in den Straßen von Warschau, von Lodz, von Lublin.
Und es muß uns bewußt sein, daß die meisten der in diesem Album abgebildeten Menschen nur wenige Jahre später ermordet wurden.
In diesem Bewußtsein und beeindruckt von den Fotografien begann ich im Frühjahr 2002 mit der Arbeit an meinem Vishniac – Zyklus, es entstanden in kurzer Zeit vierzehn Bilder. Das Konzept war, diesen Arbeiten außerhalb ihres narrativen Inhaltes eine optisch-haptische Qualität zu geben, so als hätte man die Papiere einst aus Ruinen, aus brennenden Häusern geborgen.
Als mir im selben Jahr Presse-Fotos von isrealisch-palästinensischen Auseinandersetzungen in die Hände kamen, ergänzte ich den Zyklus um weitere vierzehn Arbeiten, um zu zeigen, daß die psychischen und physischen Wunden, die Menschen einander reißen, daß Leid und Not, Demütigung und Unmenschlichkeit nirgendwo und zu keiner Zeit entschuldbar, niemals vergeßbar sind und daß Freiheit niemals teilbar ist, wie Erich Fried, der österreichische Dichter, in seinem, kein Vielleicht zulassenden Bekenntnis Die Sprache der Verrücktheit schreibt.Anton Christian